Emotionen verleihen unserem Leben Bedeutung, indem sie uns zeigen, was uns wichtig ist und welche Wünsche, Ziele und Bedürfnisse wir haben. Sie sind Informationsquellen, die uns mitteilen, was wir brauchen. Emotionen wie Freude oder Stolz signalisieren, dass wichtige Bedürfnisse erfüllt sind, während Emotionen wie Trauer oder Wut darauf hinweisen, dass dies nicht der Fall ist. Sie sind wie Warnlampen, die unsere Aufmerksamkeit auf innere Prozesse lenken. Traurigkeit deutet auf einen Verlust hin, Ärger signalisiert Verletzungen unserer Grenzen, Einsamkeit weist auf ein Gefühl der Trennung hin und Angst zeigt Bedrohungen an, die Schutz erfordern. Emotionen motivieren und organisieren unser Handeln, indem sie uns dazu bringen, im Sinne unserer Bedürfnisse zu agieren.

Emotionen und ihr Einfluss auf unser Denken

Emotionen beeinflussen daher auch unser Denken und Handeln. Sie motivieren uns zu Handlungen, die unser Verstand nicht voraussieht, sowohl positiv als auch negativ. Denken Sie an die Reaktionen/Handlungen von Eltern aus Angst oder Mitgefühl für ihre Kinder in Gefahr, oder an das Verhalten von Menschen, die sich verletzt oder ärgerlich fühlen. Unsere Emotionen bestimmen oft, was wir tun, unabhängig von unseren Plänen oder rationalen Überlegungen. Sie beeinflussen auch unsere Gedanken: Ängstliche Gedanken entstehen aus Angst, traurige Gedanken aus Traurigkeit. Um anders zu denken, müssen wir ändern, wie wir fühlen und um anders zu fühlen, müssen wir anders denken.

Emotionen als Informations- und Problemlösesystem

Emotionen sind evolutionär entwickelte Systeme zur Informationsverarbeitung und Problemlösung. Sie helfen uns, schnell und flexibel auf Probleme zu reagieren, die in der Interaktion mit der Umwelt auftreten. Emotionen entstehen durch automatische Bewertungen eingehender Sinnesreize im Hinblick auf unsere Bedürfnisse und Ziele. Sie bereiten uns auf rasches Handeln vor und passen physiologische Parameter wie Muskelspannung, Hormone und Körperhaltung an die Anforderungen der Situation an. Diese physiologischen Veränderungen werden an das Gehirn weitergeleitet, wo sie uns über die aktuelle Situation informieren. Unsere subjektiven Emotionen entstehen aus der Wahrnehmung dieser körperlichen Veränderungen. Bewusste Emotionen helfen uns, unser Verhalten besser fein abzustimmen, um effektiv im Sinne unserer Bedürfnisse zu handeln.

Einfluss auf kognitive Prozesse

Aktivierte Emotionen beeinflussen kognitive Prozesse wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Entscheidungsprozesse und moralisches Urteilen. Sie setzen einen Verarbeitungsmodus in Gang, der das Was und Wie unserer kognitiven Prozesse beeinflusst. Beispielsweise lässt uns Angst nach Gefahren Ausschau halten und nach Möglichkeiten suchen, unser Bedürfnis nach Sicherheit zu erfüllen, während Ärger uns sensibilisiert, Grenzverletzungen wahrzunehmen und zu kämpfen, um Angriffe abzuwehren oder Hindernisse zu beseitigen.

Abwehrmechanismen und der Umgang mit gefürchteten Emotionen

Viele Menschen empfinden Unbehagen bei bestimmten Emotionen, selbst bei angenehmen. Wenn wir unseren gefürchteten oder sogar bedrohlichen Emotionen nahekommen, kann Angst entstehen, die das Fühlen dieser Emotionen einschränkt oder verhindert. Wir können unruhig werden, uns ablenken oder bestimmte Themen meiden, um unangenehme Emotionen zu umgehen. Unsere psychische Abwehr hilft uns, unser Selbst zu schützen, mit schmerzlichen Erfahrungen oder negativ erlebten Emotionen umzugehen. Abwehrmechanismen können jedoch auch unser Erleben beeinträchtigen und uns sowie unsere Beziehungen schaden. Folgende Verhaltensweisen können auf die Abwehr unangenehm erlebter Emotionen hinweisen:

Angst vor Emotionen im Allgemeinen:

  • Vermeidung emotionaler Situationen
  • Lächeln statt die eigentliche Emotion zeigen
  • Schwierigkeiten, ruhig zu bleiben
  • Übermäßiges Grübeln
  • Beschweren ohne Änderung
  • Kontrollbedürfnis
  • Unklarheit über eigenes Befinden

Angst vor emotionaler Nähe oder Intimität:

  • Abwenden bei Emotionen
  • Unwohlsein in stillen Momenten
  • Scham für Emotionen
  • Unbehagen bei Blickkontakt
  • Angst vor Emotionen anderer
  • Unfähigkeit, eigene Emotionen zu zeigen

Unwohlsein mit Traurigkeit oder Trauer:

  • Vermeidung des Weinens
  • Angst vor Verletzlichkeit
  • Sorge davor, die Kontrolle zu verlieren und nicht mehr mit weinen aufhören zu können

Angst vor Wut oder Durchsetzung:

  • Wut nicht zulassen
  • Langfristiges Nachtragen
  • Vermeidung bis zur Explosion
  • Passives Verhalten bei Ärger
  • Schwierigkeiten, für sich selbst einzutreten

Angst vor Glück und Genuss:

  • Nicht in der Lage zu sein, über einen längeren Zeitraum ein echtes Gefühl von Vergnügen oder Freude zu empfinden
  • Abtun von Erfolgen
  • Schwierigkeiten, Glück zu teilen
  • Unwohlsein bei Komplimenten
  • Probleme mit Spontaneität

Einige dieser Anzeichen sind manchen Menschen sehr vertraut, anderen weniger. Das Ausmaß der Angst und somit die Art und Intensität der Abwehr vor unseren Emotionen kann vor dem Hintergrund individueller Bindungserfahrungen und kritischer Erlebnisse stark variieren.

Die Entstehung psychischer Beschwerden und Erkrankungen

Psychische Beschwerden entstehen häufig durch Schwierigkeiten bei der Regulation emotionaler Zustände, die aus belastenden Erfahrungen in der Kindheit und Jugend resultieren. Solche Erfahrungen, wie mangelnde emotionale Unterstützung oder Grenzüberschreitungen durch Bezugspersonen, können zu intensiven und schmerzhaften Emotionen wie Scham, Angst oder Einsamkeit führen. Die heilende Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen, entwickelt sich in der Beziehung zur primären Bezugsperson. Ist diese Beziehung belastet, kann die Regulation intensiver Emotionen beeinträchtigt werden, was zu Emotionen von Hilflosigkeit oder Verlassenheit führt. Menschen können dann Schwierigkeiten haben, ihre Emotionen zu erkennen, zu akzeptieren und zu verarbeiten, was zu Symptomen wie depressiver Verstimmung, Angst, Grübeln, Suchtverhalten, sozialem Rückzug oder Selbstverletzungen führen kann.

Depressive Symptome, wie Verlust von Freude, Interesse und Antrieb, Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit, können auf unterdrückte Emotionen wie Wut, Ärger, Scham oder Einsamkeit hindeuten. Körperliche Beschwerden entstehen oft, wenn emotionale Zustände nicht wahrgenommen oder verbalisiert werden und sich daher im Körper manifestieren. Metaphern wie „gebrochenes Herz“ oder „eine Last auf den Schultern tragen“ reflektieren darunter verborgene Emotionen. Emotionen bereiten uns auf Kampf, Flucht oder Einfrieren vor und haben unseren Vorfahren beim Überleben geholfen. Der beste Weg, mit der körperlichen Seite von Emotionen umzugehen, ist, sie zu erkennen, zu akzeptieren, in Worte zu fassen und ihre Botschaft zu verstehen. Ängste können auf unverarbeitete Emotionen hindeuten, die als diffuse Anspannung spürbar werden. Diese Anspannung kann Angst vor vermeintlichen gesundheitlichen Problemen, wie einem drohenden Herzinfarkt, auslösen. Panik entsteht oft durch das Unterdrücken von Emotionen, ähnlich wie ein Topf mit kochendem Wasser, der überläuft, wenn man den Deckel daraufsetzt. Schmerzhafte Emotionen, die man nicht bewältigen kann, fördern Sorgen und katastrophisierende Erwartungen, die wie ein ständiger Wachmann auf Gefahr lauern. Um sich von Sorgen zu befreien, müssen wir uns mit den zugrunde liegenden Emotionen auseinandersetzen.

Psychotherapeutischer Umgang mit Emotionen

In der Psychotherapie spielen Emotionen eine zentrale Rolle, da viele Menschen zu häufig oder zu intensiv unerwünschte Emotionen erleben oder zu wenig von den gewünschten Emotionen fühlen. Emotionen dienen Therapeuten als Wegweiser und Motor im Therapieprozess, indem sie wichtige Anliegen und Bedürfnisse des Menschen aufzeigen.

Um besser mit schwierigen Emotionen umzugehen, ist es daher wichtig, diese bewusst zu erleben, körperlich zu spüren, zu akzeptieren und in Worte zu fassen. Das ermöglicht Menschen, über ihr Gefühlsleben nachzudenken, Emotionen zu verstehen und zu verarbeiten. Es macht einen Unterschied, ob wir etwas rational oder aus Erfahrung wissen. In der Psychotherapie ist es daher wichtig, (schmerzhafte) Emotionen im Hier und Jetzt zu erleben, um einen Zugang zu wichtigen Bedürfnissen zu erhalten und Veränderungen zu ermöglichen. Sie sind daher eine wichtige Quelle für Veränderungen: Das bewusste Erleben von Emotionen kann zu neuem Fühlen, Denken und Verhalten führen.

Psychotherapie zielt insgesamt darauf ab, psychische und körperliche Symptome sowie schädigende Verhaltensweisen zu identifizieren und die Tendenz zur Vermeidung schmerzhafter Emotionen zu überwinden. Dazu gehört es, sich schmerzhaften emotionalen Prozessen zu nähern, auch in die Vergangenheit zu gehen und emotionale Erinnerungen zu aktualisieren. Dadurch können neue emotionale Antworten auf alte Probleme gestaltet werden. Durch das Erleben und Neubewerten von Emotionen im Hier und Jetzt können Menschen neue Verhaltensweisen und Denkweisen entwickeln, die letztendlich auch zu einer glücklicheren Beziehung zu sich selbst und mit anderen führen kann.

Buchempfehlungen

Auszra, L., Herrmann, I. & Greenberg, L. (2017). Emotionsfokussierte Therapie. Ein Praxismanual. Göttingen: Hogrefe.

Frederick, R. J. (2009). Living like you mean it. Use the Wisdom and Power of Your Emotions to Get the Life your Really Want. San Francisco: Jossey-Bass.